Woher? La ruta de ‚perfectos‘?
Blick zurück im Zorn
Die Gründe, warum David Dindt seine Heimat verließ, sind uns bis heute unbekannt.
Zuerst begegnen wir ihm an Ostern 1661 in Schriesheim, wo er sich als Kommunikant
der reformierten Gemeinde anschloss. Hier waren nach dem dreissigjährigen Krieg
eingewanderte Schweizer als Bürgermeister einflussreich tätig.
1666 heiratete er in Seckenheim Ottilie Quantz, die Tochter des Bürgermeisters und besaß bereits
wieder Land. Offenbar war er am Ende des schweizer Bauernkrieges von 1653 nicht arm
in Seckenheim angekommen, im Gegensatz zu vielen schweizer Bauern, die Hab und Gut
nach dem 30jährigen Krieg verloren hatten als der Preis für Naturprodukte wie Weizen und Korn
massiv gesunken war. Viele Bauern waren durch frühere Landankäufe verschuldet.
In der Liste der schweizer Einwanderer in den Kraichgau, in der auch die Region am unteren
Neckar erfasst wurde, suchen wir die Namen Ding-Dind-Din vergeblich. A. Pertsch , Mitglied des
Metzeler Kreises Heidelberg, äusserte mir gegenüber vor Jahren, daß David Dind den
Auswanderer-Treck anführte.Vor 30 Jahren hatte dies bereits mein Lehrer Prof. F.Linder, dessen
Vorfahren ebenfalls schweizer Einwanderer (um 1660) in die Umgebung von Bad
Dürkheim/Pfalz waren. Er erwähnte, dass unsere Familie aus dem Mittelmeerraum stammen
würde. Seine Familie besaß in der nahen Pfalz ein grosses Weingut und er zeigte mir die fast 3m
hohen kunstvoll geschnitzten Fasskronen, die die Außenwände seines Hauses in Heidelbergs
Krehlstrasse zieren.
Wohin? La ruta de los“hombres buenos”?
Obwohl wir die Listen der schweizer Einwanderer in Bad Dürkheim fanden, blieb unsere Suche nach dem dokumentierten Weg der einwandernden
Ding-Familie jedoch auch hier ergebnislos. Warum? Wollte David Dindt überhaupt einwandern oder blieb er einfach nur hängen? Wo ist sein Grab?
Wo der Eintrag seines Todes im Kirchenbuch? Wir finden ihn in Saint Cierge. Kehrte der verlorene Sohn heim in den Schoss der Familie,
um in der Heimat zu sterben?
David Dindt und seine Familie jedoch waren nur wenige Jahre des Friedens und des Wohlstands beschieden. Bereits 1674 rückten französische Truppen
in der Pfalz ein, da der Kurfürst Karl Ludwig sich weigerte den französischen König Ludwig XIV. im Kampf gegen Kaiser und Reich zu unterstützen.
Wieder wurden die Fluren zerstampft, Vorräte geraubt, Dörfer und Städte verbrannt. Im Oktober 1688 fiel Heidelberg erneut in die Hände der Franzosen
und nach dem Prinzip der verbrannten Erde wurden Stadt und Land, auch die Dörfer am unteren Neckar in Schutt und Asche gelegt. Unschuldige
Menschen wurden zerschossen, zerhauen und zerfetzt, Hände, Finger, Ohren und andere Glieder abgeschnitten, Mädchen und selbst schwangere Frauen
auf offener Straße vergewaltigt. Auch 1690-1694 mußte ständig Quartier bereit gestellt werden, eine schwere Belastung, ob für Freund oder Feind.
Bis 1698 war die Bevölkerung auf ein Drittel dezimiert, die Felder verwüstet. Als Kurfürst Karl III. Philipp (1716-1742) an die Macht kam, rekatholisierte er
das Land. Aber schon vorher (um 1703) nahm die Regierung (Stift Neuburg) den Protestanten die verpachteten Kirchenäcker weg, trotz der zugesagten
Privilegien des Bergsträsser Recess von 1650 machte sie auch vor David Dindt nicht halt(1706). 1684 sagte W. v. Reck, daß die Protestanten, diese
„halsstarrigen Gesellen“ und „Principal-Uffwickler“ exstirpiert werden müssten. Seitdem wissen wir nichts mehr von ihm, keine schriftliche oder
mündliche Überlieferung erzählt von seinem Ende.
Wen wundert es da, dass Christoph Ding mitte des 18. Jahrhunderts Auswanderungswillige um sich sammelte, um im Braunschweigischen einen
Neubeginn zu wagen.
In der Ding’schen Familienchronik, herausgegeben 1995 berichtet Richard Ding ausführlich darüber, auch über die ehrgeizigen Pläne Wein, Tabak, Spargel
und Baumwolle anzupflanzen, aber auch über die lange Durststrecke dieses steinernen Weges. Bitte dort nachlesen!
Auch der 7-jährige Krieg (1759-1766) hat die Kurpfalz nicht verschont. Eine neue Auswanderungswelle war die Folge: nach Dänemark (Kartoffeldeutschen),
nach Russland (die „Wolgadeutschen“), nach Österreich-Ungarn und die Bukowina, nach England, wo es auch heute noch in Petersborrough
19 Dingfamilien gibt, die nicht mehr wissen, woher sie kamen.
Wenig bekannt ist, daß es 1795 vor den Toren Heidelbergs erneut zu einer Schlacht zwischen Franzosen und Österreichern kommt, Mannheim
war bereits zerstört. Die Verluste der Franzosen allein beliefen sich auf 1000 Tote und 500 Gefangene.
1799 standen die Franzosen wieder im Land und die linksrheinische Pfalz wurde an Frankreich abgetreten. Es folgten die napoleonischen Kriege
bis 1815 mit dem Durchzug des russischen Heeres durch die Kurpfalz und Hessen.
Mit dem Beginn des Industriezeitalters öffnete die Dampfschiffahrt den Weg in die garantierte Freiheit und den Wilden Westen der USA. New York
war das Tor zur freien Welt und Pennsylvanien, Mississipi und Dakota waren die Ziele der Ding-Familien. Insbesondere die Einführung des
Militärdienstes, die Auflösung der Paulskirche und damit die Zerschlagung des demokratischen Gedankens trieben die junge enttäuschte Generation
aus der Heimat in die weite Ferne, die schließlich nach der Gründung des preußischen Reiches 1870 und dem von Bismarck angezettelten Kulturkampf
wie im Gefängnis vorkamen.
Viele Auswanderer mußten dieses Wagnis mit dem Leben bezahlen. So meldete das Schwetzinger Wochenblatt von 1866 die Sterberate der Überfahrt
in das gelobte Land: Die „England“ verlor 309 von 1218 Passagieren (25%), die „Virginia“ 124 von 1043 Passagieren (12%),
die „Liverpool“ 65 von 434 (15%), die „Peruvian“ 114 von 785 (15%), die „Johannis Martins“ 18 von 113 (16%) Passagieren, 19 Schiffe lagen
nach der Ankunft in Quarantäne.
Gottfried Mittelberger beschrieb in seinem Buch über das jammervolle Elend, das sich in der Regel auf den Schiffen abspielte. Die Dingfamilien ließen
sich dadurch nicht abschrecken. 1990, 1995 und im Jahr 2000 haben sie uns ihre biblische Leidensgeschichte erzählt.
Der Verlust der Freiheit, der
Rechte,
des Glaubens, der Ehre und
Würde
führen zum Verlassen der
Heimat